Daniel Brühl hat es wohl geschafft – er ist auch endlich in New York angekommen. Zumindest in der Serie The Alienist geht er im Jahre 1896 als Seelenarzt auf die Suche nach einem Serienmörder. Die zehnteilige Serie wurde nach einem Roman von Caleb Carr adaptiert.
Alienist Laszlo Kreizler
Alienist? Ja, da muss man nicht lange nachdenken, was das genau sein soll. Die Serie gibt zu Beginn direkt eine Antwort:
„Im 19. Jahrhundert dachte man, dass jene, die geisteskrank waren, sich von ihren wahren Seelen entfremdet hätten. Die Fachkundigen, die sie untersuchten, wurden daher damals Seelenärzte genannt.“
Der Alienist heißt Laszlo Kreizler und der interessiert sich brennend dafür, seine Tätigkeit als Seelenarzt als anerkannte Wissenschaft im polizeilichen Alltag zu integrieren. Er möchte Geisteskrankheiten in seiner Gänze verstehen, auch bei kriminellen Tätern. Sie nicht nur „dingfest machen“, sondern durch das Studieren der betreffenden Personen, therapieren und somit andere Straftaten verhindern.
Seine Chance bietet sich bei einem grausamen Fund in der ersten Folge. Auf einer Brücke mitten in London wurde die Leiche eines jungen Burschen entdeckt, der nicht nur als junges Mädchen verkleidet war, sondern auch einen gruseligen Anblick hinterlässt. Als Arzt bietet sich allerdings nicht die Möglichkeit am Tatort nach Spuren zu suchen – er hat keinen Zutritt zum Ort des Geschehens. Für Laszlo überwindbar – er bittet kurzerhand seinen Bekannten John Moore, der als Illustrator bei der New York Times beschäftigt ist, um Hilfe. John erhascht am Tatort einen Blick auf den Jungen und es wird ihm gewährt ihn zu illustrieren – eine wahre Herausforderung. Das Opfer wurde regelrecht geschlachtet – die Leiche ausgeweidet, zerstückelt und die Augenhöhlen leer hinterlassen. Laszlo erkennt schnell, dass es sich hierbei um die Tat eines Geisteskranken handeln muss, der mit angrenzender Wahrscheinlichkeit nicht das letztes Mal mordete.
Laszlo teilt seine Bedenken mit Polizeichef Theodore Roosevelt und kann ihn überzeugen. Da die Polizei allerdings wenig von den Methoden des wenig beliebten und exzentrischen Arztes und zusätzlich Korruption ein großes Problem in den Polizeibehörden darstellt, wird er inoffiziell beauftragt eigene Recherchen anzustellen – an seiner Seite ein außergewöhnliches Team.
Roosevelt war übrigens tatsächlich vor seiner Zeit als US-Präsident ab 1895 für zwei Jahre Leiter der New Yorker Polizeibehörde und ging rigoros gegen die Korruption innerhalb der Behörde vor.
Die Ermittlungen: Jeder hat sein Päckchen zu tragen
John Moore bleibt der „Ermittlungseinheit“ erhalten. Hilfreich ist er hierbei nicht nur durch seine detaillierten Zeichnungen, auch seine besondere Schwäche ist für die Recherchen ausschlaggebend. Er verbringt seine Feierabende gerne in Bordellen, der Zeitvertreib ist zwar nicht unbedingt moralisch korrekt, doch kennt er sich in den Etablissements aus, in denen der Junge sich als Prostituierter sein Lebensunterhalt verdiente, gut aus.
Eigentlich ist John auf der Suche nach der großen Liebe, nachdem ihn kurz zuvor seine Verlobte betrogen und verlassen hat. Interesse zeigt er an Sara Howard, die erste Frau in New York, die dank großem Fleiß und harter Arbeit, in der Männerdomäne des New York City Police Department Fuß als Sekretärin fasst. Als Frau muss sie sich nicht nur einiges gefallen lassen, sie wird auch maßlos unterschätzt, dementsprechend harsch tritt sie manches Mal auf. Als sie als Informantin für Laszlo eingesetzt werden soll, fackelt sie nicht lange, und wird Teil der Ermittlungen.
Das Team komplettieren die Brüder Marcus und Lucius Isaacson, selbst Polizisten, aber mehr noch Pioniere der Spurensicherung. Belächelt werden beide nicht nur weil versuchen die Ermittlungen mit neuen Ansätzen wir beispielsweise dem Fingerabdruck voranzutreiben, sondern auch, weil sie Juden sind.
Exzentrischer Psychologe und Korruption auf hohem Niveau
Laszlo treibt das Team durch seine ungewohnten Methoden und Denkansätzen voran, in dem er sich versucht in den Serienmörder hineinzuversetzen und durch Interpretation der Tötungsart, der Wahl der Ablageorte und weiterer Auffälligkeiten Rückschlüsse auf den Täter und seine Psyche zu ziehen. Kaum übersehbar zeigt er sich auch äußerst interessiert an seinen „Kollegen“ und bringt sie durch seine exzentrischen und direkten Konfrontationen an das Ende ihrer Geduld. Nicht zuletzt, um von seinen eigenen Lebensumständen abzulenken. Er hat eine lahme rechte Hand, lebt zurückgezogen mit einer tauben Haushaltshilfe, einem schwarzen Bediensteten und einem jugendlichen Ziehsohn zusammen.
Gestört werden die Ermittler Laszlos – wie von Roosevelt befürchtet – durch zahlreiche Ablenkungsmanöver der korrupten Polizeibehörde. Chief Byrnes und seine rechte Hand Captain Connor, die persönlich nicht gerade Fans der Psychospielchen des Dr. Kreizlers sind, versuchen Fortschritte seiner Recherchen wiederholt zu verhindern. Und das nicht ohne Grund: Sollte der Täter im Kreise der reichen und einflussreichen Gönner der Polizei ausgemacht werden, muss eine Verhaftung verhindert werden.
Die Konstellation bleibt nicht unspannender als sich der Täter selbst zu Wort meldet, in einem Brief wendet er sich an die Mutter eines seiner Opfer. Das Ermittlungsteam scheint auf der richtigen Fährte.
Offizieller Trailer
Überraschende Themenvielfalt
Die Serie überzeugt nicht nur durch eine gute Besetzung, sondern auch durch seinen Themenvielfalt. Sie ist zwar in den Rahmen einer spannenden Krimiserie gefasst, die auf den Spuren moderner wissenschaftlicher Ermittlungsmethoden samt Täterprofil und Spurensicherung ist, behandelt dennoch zusätzlich untergeordnete Aspekte, die zur damaligen Zeit brandaktuell waren: Gleichberechtigung, das Wahlrecht der Frauen, Homosexualität, Prostitution, Antisemitismus, Korruption, Klassenunterschiende, Armut und soziale Ungerechtigkeit – um nur einige zu nennen. Und die Charaktere spielen sie alle aus, sind gut gewählt und kommen auch in ihrer Entwicklung nicht zu kurz. Sie sind zwar ab und an etwas oberflächlich oder abrupt, was aber wenig störend ist. Meiner Meinung nach wird aber etwas zu wenig auf die eigentlichen psychologischen Ansätze und Methoden von Kreizler eingegangen. Da hätte ich persönlich gerne noch etwas mehr gesehen.
Die Szenerie der Serie ist echt super – London scheint im Umbruch zu sein. Die besser Gestellten der höheren Klasse sind noch fein und akkurat angezogen: Anzüge, Taschenuhr und Geknüpfte Schuhe bei den Herren, ausgestellt Röcke, Schulterpolster bei den Damen. Die Unterprivilegierten hingegen kämpfen ums Überleben. Es fahren noch Kutschen, der Boden ist lehmbedeckt, aber die Dampfloks sind schon im Einsatz. Gedreht wurde wohl in Budapest und das kann sich wirklich sehen lassen, denn als Zuschauer versinkt man quasi in der düsteren Umgebung Londons. Anschauen lohnt sich, bin gespannt auf Staffel 2.
Was genau?
Titel: The Alienist
Kategorie: Drama, Crime
Staffeln: 1
Anzahl der Folgen: 10
Länge: 42-53 Minuten
Jahr: April 2018 auf NETFLIX
Produktionsland: USA